Freitag, 29. Mai 2009

Mein Freund Schnuckenack

Mein Freund Schnuckenack

Mein Freund Schnuckenack, der Zigeuner,
sagt: Ich mach dir eine Phantasie.
Und dann zeigt er mir sein rechtes Bein,
ganz aus Leder bis unter das Knie.
Das geschah ihm in Mauthausen,
war ein Unfall der SS, zwischen Schüssen
mußt er tanzen, und sie riefen: So ist Jazz!

Mein Freund Schnuckenack ist Verlierer,
von Geburt und von Beruf, setzt er Geld
auf Nummer Sicher, bricht dem Favorit der Huf.
Er möbliert sich die Verzweiflung
mit Absinth und Mescalin
An den Abenden der Männer sieht man ihn
das Messer ziehen.
Dieses scharfe Silberfischlein,
das die Wunden rasch bereist, ist ihm
schweigsame Verwandschaft
wenn die Zärtlichkeit vereist.

Mein Freund Schnuckenack nennt das Leben
eine Lehre, die man hat,
wenn man sie nicht mehr gebrauchen kann,
und er hat die Lehren satt.
Zwischen tausend Tabernakel sucht er Gott
wie eine Laus
Denn er will ihn höflich fragen,
ob er rechnet mit Applaus

Text: André Heller - 1975

Sonntag, 17. Mai 2009

Why Can't We Live Together

Why Can't We Live Together

Tell me why, tell me why, tell me why.
Why can't we live together?
Tell me why, tell me why.
Why can't we live together?

Everybody wants to live together.
Why can't we be together?

No more war, no more war, no more war...
Just a little peace.
No more war, no more war.
All we want is some peace in this world.

Everybody wants to live together.
Why can't we be together?

No matter, no matter what colour
You are still my brother
I said no matter, no matter what colour
You are still my brother

Everybody wants to live together
Why can't we be together?
Everybody wants to live
Everybody's got to be together

Everybody wants to live
Everybody's going to be together
Everybody's got to be together
Everybody wants to be together

I said no matter, no matter what colour
You're still my brother
I said no matter, no matter what colour
You're still my brother

Everybody wants to live together
Why can't we be together?

Gotta live together...
Together

Timmy Thomas


Was es ist

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Erich Fried

Im Nebel

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, Im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Hermann Hesse - November 1905


Samstag, 16. Mai 2009

Schweigen

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten,
habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.


Text: Martin Niemöller

Teufelskreis

Es ist paradox, aber so ist es nun einmal. Wer es nicht fertig bringt, allein glücklich zu leben, der wird im Endeffekt auch in einer Zweierbeziehung einsam sein. Denn:

Wer mit sich allein nicht glücklich sein kann, kommt mit sich selbst nicht zurecht.
Wer mit sich selbst nicht zurechtkommt, besitzt kein Selbstwertgefühl.
Wer kein Selbstwertgefühl besitzt, meint er sei nichts wert.
Wer meint, dass er nichts wert sei, hofft, dass er durch einen Partner aufgewertet wird, lebt nur durch und für den anderen.
Wer nur, durch und für den anderen lebt, besitzt keine eigene Persönlichkeit.
Wer keine eigene Persönlichkeit besitzt, wird vom Partner ausgenutzt und unterdrückt.
Wer vom Partner ausgenutzt und unterdrückt wird, bekommt immer mehr Minderwertigkeitsgefühle.
Wer Minderwertigkeitsgefühle hat, fühlt sich vom anderen distanziert.
Wer sich von anderen distanziert fühlt, ist einsam.
Wer einsam ist, kommt mit sich selbst nicht zurecht.
Wer mit sich selbst nicht zurechtkommt …..

….der steckt in einem ewigen Teufelskreis.


Donnerstag, 14. Mai 2009

Zen

Sitze
Ruhe
Tu, was zu tun ist
Für dich allein, unermüdlich

Lebe wunschlos
glücklich
am Waldrand

Mittwoch, 13. Mai 2009

Present

Yesterday is history
Tomorrow is a mystery
Today is a gift
Thats why its called present

Das Peace - Zeichen

Kreis, Strich, Häkchen: fertig. Vor 51 Jahren erfand ein britischer Designer das Peace-Zeichen. Seither pinseln Friedensbewegte in aller Welt das Symbol auf Bäuche, Busse und Büros – dabei ist die berühmte Ikone von der Militärsprache inspiriert.

Das Wetter in London war lausig an jenem Osterwochenende im April 1958. Gebremst hat es die Kernwaffengegner nicht. Zu Tausenden zogen sie vom Trafalgar Square im Herzen Londons zum britischen Atomforschungszentrum Aldermaston, “Ban the Bomb”-Rufe schallten durch die regennassen Straßen. Mit im Schlepptau bei diesem ersten, rund 80 Kilometer langen Ostermarsch der Geschichte: 500 gigantische Lollipops von etwa einem Meter Durchmesser, die die Menschen vor sich hertrugen. Drei nach unten weisende Striche in einem Kreis verzierten die Plakate – das Friedenszeichen war geboren.

An jenem Osterfest vor 51 Jahren feierte das heute weltberühmte Symbol seine erste öffentliche Premiere. Die britischen Journalisten zerbrachen sich die Köpfe über das ominöse Signum. Hier seien die griechischen Anfangsbuchstaben Christi zu sehen, mutmaßten die einen, für ein satanistisches Symbol hielten es die anderen, während dritte es glatt als Hühnerspur abtaten. Worum es dem Erfinder der drei umrundeten Striche wirklich ging – nämlich um Abrüstung – erkannten nur die wenigsten auf Anhieb.

Ausgedacht hatte sich das Zeichen der britische Designer Gerald Holtom. Im Auftrag des Philosophen Bertrand Russell, Anführer der Campain for Atomic Disarmament (CND), entwarf der Absolvent des Londoner Royal College of Arts das berühmte Symbol am 21. Februar 1958. Für das Peace-Zeichen, das Menschenliebe und Versöhnung demonstrieren sollte, griff Holtom ausgerechnet auf eine vor allem von Militärs benutzte Zeichensprache zurück – das Winkeralphabet.
Um das N (für Nuclear) und das D (für Disarmament) darzustellen, bediente sich der Friedensaktivist, der während des Zweiten Weltkrieges auf einer Farm an der Küste von Norfolk gearbeitet hatte, des hier erlernten Flaggenalphabets: Beim D zeigt je eine Flagge nach oben und nach unten, das N bilden zwei schräg nach unten gekippte Fähnchen.Die Kernwaffengegner hat’s nicht gestört – zumal sich Holtom später eine andere Entstehungsversion zurechtlegte. Stark deprimiert sei er gewesen, schrieb er einem Bekannten, als er das Bild eines verzweifelten Menschen gezeichnet habe. Nach außen und unten hätten die Hände dieses Unglücklichen gezeigt – so wie bei dem berühmten Bild von Goyas Bauer, der vor dem Erschießungskommando steht. Später habe er die Zeichnung auf ihr Wesentliches reduziert und einen Kreis darum gezeichnet. Wie dem auch sei: Dankbar griffen die britischen Kernwaffengegner zu dem Signum – ein Zeichen musste her gegen die immer realer werdende nukleare Bedrohung: 1952 war Großbritannien neben der USA und der Sowjetunion zur dritten Nuklearmacht aufgestiegen, fünf Jahre später zündete England auf Christmas Islands im Pazifik seine erste Wasserstoffbombe. Mit dem viertägigen Ostermarsch nach Aldermaston wollten die CND Aktivisten um Russell endlich ein Zeichen setzen – mit Erfolg. In Windeseile schwoll die ursprünglich kleine Schar von Kernwaffengegnern zu einer Massenbewegung an, ihr kreisrundes Symbol verbreitete sich um die ganze Welt.

Ein Mitstreiter Martin Luther Kings, der auf dem britischen Ostermarsch dabei war, exportierte das Peace-Zeichen in die USA, bald pinselten kriegsmüde Vietnam-Soldaten sich das Zeichen auf den Helm, schmückten Woodstock-Fans ihre VW-Busse mit den umrundeten Strichen und malten es Kalte-Kriegs-Gegner in Prag und Berlin an die Häuserwände. Homosexuelle, Umweltschützer und Feministinnen okkupierten das Peace-Zeichen genauso wie Anti-Apartheid-Aktivisten, Tierschützer und 68er. Mit dem Irak-Krieg erlebte die visuelle Ikone eine gloriose Renaissance: Kriegsgegner in aller Welt formten seit Beginn der Irak-Offensive 2003 menschliche Peace-Zeichen auf großen Plätzen, der Musiksender Viva ersetzte sein Logo eine Zeit lang durch das Friedenssymbol, und Prominente hefteten sich das Zeichen publicity-wirksam bei Filmpremieren auf ihre Abendroben.

Seine Schlichtheit sowie sein Anpassungsvermögen begründen laut Ken Kolsbun, dem Co-Autor des neuen Buches “Peace: The Biography of a Symbol” dessen Aufstieg zum piktographischen Superstar. Doch verdankt es seinen unvergleichlichen Erfolg auch der Tatsache, dass Designer Holtom sich die Erfindung nie patentieren ließ. Als Symbol für Frieden, Frohsinn und Freiheit müsse es frei sein für alle, so seine Begründung. Frei auch für die Geschäftsmänner in aller Welt, die das Zeichen als Modeaccessoire vermarkten – und so ihres Sinnes zu entleeren versuchen. Zudem schläft die Konkurrenz nicht, ungeachtet der Popularität des Peace-Kreises: Pace-Fahnen, Friedenstauben, das Victory-Zeichen, der Regenbogen – alle buhlen sie um die Gunst der Friedensaktivisten und versuchen dem in die Jahre gekommenen Kreissymbol das Wasser abzugraben. Derzeit sind andere Zeichen angesagter, um die eigene Gesinnung zu Markte zu tragen: Filmstars schmücken sich lieber mit gelben Bändern und roten Aids-Schleifen, Teenager können Totenköpfen und dem Konterfei von Che Guevara mehr Sexappeal abgewinnen. Schade, dass die Kriege auf der Welt zeigen müssen, dass das gute, alte Peace-Zeichen doch unsterblich ist.



Text: Katja Iken

Sonntag, 10. Mai 2009

2035 braucht unser Lebensstil zwei Planeten

Beinahe ein Drittel der natürlichen Ressourcen der Erde wurde seit 1970 aufgebraucht!

Werden keine drastischen Maßnahmen ergriffen, steuert die Welt auf eine ökologische Krise zu, die selbst die gegenwärtige Finanzkrise und die Gefahr einer Rezession in den Schatten stellt - so die dringlichste Warnung des WWF.
Die Ressourcen der Erde werden schneller aufgebraucht, als sie erneuert werden können. So sei allein in den vergangenen 35 Jahren beinahe ein Drittel des ökologischen Kapitals der Erde verlorengegangen, heißt es in der aktuellen Studie. "Sollte unser Anspruch an die Erde in diesem Maß steigen, bräuchten wir im Jahre 2035 zwei Planeten, um unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten", so die Geschäftsführerin von WWF Österreich, Hildegard Aichberger.

Der Weltumweltbericht des WWF, geht davon aus, dass mehr als drei Viertel aller Menschen heute in Ländern leben, die "ökologische Schuldner sind, deren nationaler Konsum die biologischen Kapazitäten ihres Landes übersteigt". Im internationalen Vergleich liegt Österreich in dieser Liste hinter der Schweiz auf Platz 20. Deutschland landete im Ranking auf dem 30. Platz. Die größten Öko-Schuldner sind die Vereinigten Arabischen Emirate vor den Vereinigten Staaten und Kuwait.
Da besonders die Wasservorräte der Erde durch Klimawandel und Konsumverhalten bedroht sind, wurde heuer eine neue Messzahl - der globale Wasser-Fußabdruck - eingeführt. "Etwa 50 Länder müssen sich derzeit mit Wasserproblemen auseinandersetzen und die Zahl an Menschen, die unter saisonaler oder ganzjähriger Wasserknappheit leiden, wird als Folge des Klimawandels weiter steigen", so der Bericht. Der Wert beschreibt den Wasserkonsum eines Landes. Neben dem "normalen" Alltagsverbrauch wird auch der Wasserbedarf für die Produktion von Gütern, die importiert werden, eingerechnet. Ein Baumwoll-T-Shirt benötigt beispielsweise in seiner Herstellung durchschnittlich 2900 Liter Wasser, für die Erzeugung von jedem Kilogramm Rindfleisch sind es sogar 15.500 Liter. Rein rechnerisch verbraucht ein Mensch so 1,24 Millionen Liter Wasser pro Jahr, die stärksten Verbraucher sind laut WWF-Liste die Vereinigten Staaten vor Griechenland, Malaysia und Italien.

Heiliges Land

Es gibt kein »Heiliges Land« außer vielleicht die Erde, die wir zu schützen haben. Was für ein Irrsinn, einen kleinen Abschnitt dieser Erde für sich zu beanspruchen, für den eigenen Kult, und dabei die Lebensfähigkeit der ganzen Erde zu gefährden!
Anstatt »Demokratie und Freheit« hinauszuplärren in widerstrebende Ohren, sollte der Westen sich mit den Wurzeln des eigenen Fanatismus beschäftigen, mit dem Eingemachten, dem Wahnsinn der sich auf Moses, Abraham, Jesus und Mohammed beziehenden Religionen, die sich in ihrer Barbarei alle ähneln: Rache, Eifersucht, Territorialkämpfe, Machtansprüche.
Alles das steht ja schon dort, in den »Heiligen Schriften«. Dort gibt es gewiss auch Weisheit und Einsicht, aber die muss man suchen. Man muss sie in sich haben, um sie dann in diesen Heiligen Büchern finden zu können. Wer Wut in sich hat oder starke Frustrationen findet dort ganz andere Sachen.......

W.Schneider

Dienstag, 5. Mai 2009

Heute in Jerusalem

Heute in Jerusalem

Erhebet euch, tut ab den Schlaf
In dieser Zeit der bitteren Früchte
Übt Freunde eure Wachsamkeit
Dem Weinen und der Angst zu wehren

Seht, aus der Kühle hoher Luft
Da fallen hundert Monde
Als Zeichen für den Neubeginn
Als Sinn wider den Widersinn

Und heute in Jerusalem
Endlich in Jerusalem
Atem holen und besinnen
Und heute in Jerusalem
Friede für Jerusalem

Seht, aus der Kühle hoher Luft
Da fallen hundert Monde
Als Zeichen für den Neubeginn
Als Sinn wider den Widersinn

Und heute in Jerusalem
Endlich in Jerusalem
Atem holen und besinnen
Und heute in Jerusalem
Friede für Jerusalem


Text: Andre´Heller - 1979

Die Unwissenden

Die Unwissenden

Es heißt
die von nicht gewusst hatten
waren naiv
Im Gegenteil
Es war damals
sehr praktisch
von gar nichts
gewusst zu haben
Nur Dummköpfe
oder Narren
versuchten alles zu wissen
Und die Suche
nach Wissen
brachte viele von ihnen
ums Leben
Drum fehlen uns jetzt
diese Dummköpfe
und diese Narren
so bitter

Erich Fried


Bildende Kunst

Bildende Kunst

Im Anfang war das Bild. Und es war nicht das Wort. Denn wäre es das Wort gewesen, sagten wir heute Wortung und nicht Bildung. Das weiß ja jeder: Erst sieht der Mensch, dann beginnt er zu sprechen. Erst muss er sich ins Bild setzen, dann kann er sagen: Ich bin im Bilde, ich habe verstanden.
Wer also Bildung will, muss sehen. Er braucht Bilder, und vor allem braucht er die Bilder der Kunst. Nicht dass Kunst uns unbedingt zu besseren Menschen machte, dass sie eine höhere Art der Welterkenntnis böte und den Menschen von aller Entfremdung erlöste, so wie dies Schiller, Heidegger, Adorno und viele andere einst verhießen. Auch ist ein Leben ohne Kunst kein dummes Leben. Dennoch ziehen erstaunlich viele Menschen in die Museen. Anders als Musik oder Kino vermeldet die Kunst nicht Schrumpfung, sondern kräftiges Wachstum.

Und das hat Gründe. Tagein, tagaus blicken wir auf Schirme und Schirmchen, unser Sehen wird formatiert, unser Blick auf die Welt hat klare Rahmen. Der Alltag ist Bild, und Bild ist Alltag, und eigentlich, so sollte man meinen, sind Museen überflüssig. Warum denn, bitte schön, noch mehr Bilder? Vielleicht, weil die Kunst andere Bilder bietet. Bilder, die nichts verkaufen wie in der Werbung, nicht zappeln wie im Fernsehen, nichts abbilden wie in der Zeitung.
Die Bilder der Kunst bleiben. Sie haben eine Geschichte und werden Geschichte haben. Und mit Glück sind es Bilder, die uns ins Ungebildete führen, ins Un-formatierte. Man könnte auch sagen: Die Kunst bereichert uns, indem sie uns arm macht. Arm an Gewissheit. Sich an der Kunst zu bilden heißt also nicht, möglichst viele Werke und Künstler und Stile und Kunstgeschichten zu kennen. Sicher, das kann nicht schaden, doch im Kern heißt Kunstbildung etwas anderes. Es heißt, eine ästhetische Erfahrung wagen. Sich auf etwas einzulassen, das nicht in Wörtern zu uns spricht und sich den Begriffen entzieht. Das aus dem Gewöhnlichen hinausführt ins Ungewohnte. Selbst bei der Mona Lisa ist das so, sie ist allen vertraut und über alle Zweifel erhaben – und bewahrt doch den Reiz des Offenen. Die einen sehen in ihr das Schöne, andere etwas Verwunschenes, Dritten ist sie nur noch Karikatur. Allen aber bleibt Verwunderung, warum und wie sich dieses Bild und andere Bilder in uns abbilden.
Und dann natürlich die Frage, ob die Kunst tatsächlich »das Unsichtbare im Sichtbaren« (Lyotard) entdeckt. Gerade dieses Ungefähre macht gute Kunst aus. Und macht sie zu einer Zumutung. Sie gehorcht nicht jener Logik, die allein Wertschöpfung will und Wissensvermehrung und Erkenntnis und das alles möglichst schnell. Kunst will Zeit, damit ein Bild sich in uns bilden kann. Sie verlangt Wiederholungsseher und Überzeugungsschauer. Solche, die sich einlassen auf die Unverfügbarkeit der Kunst, ihre verlockende Schönheit, ihre abweisende Hässlichkeit, auf die Arbeit, die sie verlangt, den Genuss, den sie verspricht. Und obwohl die Kunst nicht das Ende aller Entfremdung verheißt, lässt sich am Ende doch in der ästhetischen Erfahrung eines lernen: ein selbstbestimmtes, ein selbstbewussteres Sehen. Diese Selbstbestimmtheit geht vielen Menschen in der medialisierten Gegenwart verloren, sie klagen über die Bilderflut, den Bilderrausch. Auch deshalb zieht es sie ins Museum: wegen der Unbill der Bilder. Unbill, das hieß am Anfang der Sprache noch Unbild, es bedeutete maßlos, unrecht, eben nicht-gebildet. Unbill ist das Gegenteil von Kunst.

Beginnen Sie das Sehen, indem Sie die Augen schließen. Und hineinwandern in Ihre ganz eigene Galerie, ins Kunstmuseum des Kopfes. Was hängt dort? Welches Bild ist Ihnen besonders wertvoll? Und wie scharf können Sie es sehen? Suchen Sie dann das Original Ihres Lieblingswerks auf, und verweilen Sie eine Stunde oder zwei oder drei. Bis rundum alles vergeht und Sie ganz im Bilde sind.

Hanno Rautenberg

Alexis Sorbas

„Did you ever see a more splendiferous crash?”

Alles ist beisammen – das Leben und der Tod, die Freundschaft und der Hass, die Liebe und der Neid, das Heitere und das Tragische, die Lüge und die Wahrheit, die Einbildung, die Selbsttäuschung, die Grausamkeit und die Gastfreundschaft, das Leichte und das Beklemmende. Eng schmiegt sich das eine an das andere. Das Archaische trifft auf das Zivilisierte, das Urwüchsige auf das Genormte.

Ein erfolgloser Schriftsteller namens Basil (Alan Bates) wartet in strömendem Regen auf das Schiff nach Kreta. Der Sturm ist so heftig, dass das Schiff zunächst nicht ablegen kann. Ein Grieche spricht ihn an, einer jener Männer, denen die Lebenslust, das Abenteuerliche und das Urwüchsige ins Gesicht geschrieben steht. Zorba, der Grieche, ganz Anthony Quinn, oder zumindest überwiegend. Zorba, der Lebenskünstler, will, dass Basil ihn mit nimmt nach Kreta. Basil erzählt, dass er Gedichte und Essays schreibt. Zorba weiß nicht, was Essays sind. Aber er antwortet Basil, dass er keinen Beruf habe. Er habe Augen, Hände, Beine und einen Mund, wozu brauche er da einen Beruf.

Das Gebildete und Verbildete trifft auf das Ungebildete und Unverbildete.

Basil hat schon lange nichts mehr geschrieben; er steckt in irgendeiner dieser Krisen, die für die zivilisierte Welt so typisch zu sein scheinen. Auf Kreta will er eine stillgelegte Mine wieder in Gang bringen. Und Zorba, der schon alles mögliche gearbeitet hat, will ihm helfen, die Sache in die Hand nehmen. Wie werden beide begrüßt! Mit Freundlichkeit und Heiterkeit, ein regelrechter Auflauf für die Gäste! Sie kommen unter in einer Art Hotel bei Madame Hortense (Lila Kedrova), einer ältlichen Dame, die in der Vergangenheit lebt, von vier Generälen erzählt, die sie geliebt habe, die aber alle aus ihrem Leben verschwunden seien. Basil lacht über sie und erntet dafür den Zorn Zorbas, der Hortense umgarnt – aber nicht, weil er sie liebt, sondern weil er alle Frauen liebt, fast alle.

„Leben heißt, den Gürtel
festschnallen und ausschauen
nach Schwierigkeiten“,

antwortet Zorba Basil, der schon aufgeben will, als die ersten Probleme sichtbar werden, die Mine, die an einem steilen Berg liegt, wieder in Betrieb zu nehmen. Und Zorba meint, die schöne Witwe (Irene Papas), hinter der alle Männer des Dorfes her sind, habe ein Auge auf Basil geworfen, als der ihr in der Kneipe hilft, als die Männer sie ärgern und ihre Ziege verstecken, und er, Basil, solle zu ihr gehen. Aber Basil wagt dies nicht. Noch nicht.

Zorba besorgt Holz, bei den Mönchen, denen der Wald oberhalb der Mine gehört. „Der Wald gehört den Mönchen, und die Mönche gehören Gott, und Gott gehört allen Menschen.“ Zorba will die Mine mit Baumstämmen abstützen und eine Art Drahtseilbahn bauen, um die Braunkohle aus der Mine ans Wasser zu transportieren. Er fährt in die Stadt, um alles andere zu besorgen, und amüsiert sich mit Animiermädchen, trinkt, während Basil dann doch den Weg zu der schönen Witwe findet, eine Nacht mit ihr verbringt – einen Tag bevor die Männer des Dorfes sie mit Steinen bewerfen und einer ihr die Kehle durchschneidet.

Und auch Hortense, die Zorba liebt, stirbt, nachdem beide zum Schein geheiratet haben, weil Zorba Mitleid mit Hortense hat.

„Was können all diese Bücher mir
sagen, warum ein Mensch so früh
sterben muss,“ fragt er Basil.
„Sie stellen diese Fragen,“
antwortet Basil.
„Ich spucke auf Deine Bücher!“

„Zorba, the Greek“ ist ein Film über das Scheitern und den Erfolg. Und in den beiden Hauptfiguren Zorba und Basil kommen die unterschiedlichen Lebensentwürfe und -praktiken zum Vorschein, die unterschiedlichen Kulturen verhaftet sind. In dem Dorf in Kreta herrschen Regeln, die Basil nicht verstehen kann, die uns allen zu schaffen machen. Eine Frau wird getötet, weil sie alle Umwerbungsversuche der Männer aus dem Ort über Jahre zurückgewiesen hat, weil sie sogar verantwortlich gemacht wird für den Selbstmord eines jungen Mannes, weil sie sich außerhalb der Regeln stellt. Und Zorba? Er nimmt es hin, wie er alles hinnimmt. Das Archaische bestimmt auch sein Denken und Empfinden. Und trotzdem weigert sich etwas in ihm zu kapitulieren vor dem Tod. Er akzeptiert den Tod und er akzeptiert das Scheitern, in dem er noch einen Erfolg ausmachen kann, und nur so kann er leben.

Als die Drahtseilbahn am Schluss zusammenbricht, sagt er zu Basil: „Hast Du jemals erlebt, wie etwas so schön zusammen kracht?“ und lacht und bringt Basil, der das Land wieder verlassen wird, den Sirtaki bei. Und Basil hat gelernt, nicht nur den Sirtaki, sondern auch, dass seine eigenen, oft eingeengten Prinzipien dem Leben nicht standhalten können. Ohne Zorba hätte er in Kreta nicht lange überlebt. Die Freudlosigkeit seines Lebens verwandelt sich in einer realistischeren Perspektive, die nicht leicht zu ertragen ist, mit der sich jedoch besser leben lässt.

Der Blick Kazantzakis und Cacoyannis ist geprägt von Liebe, aber auch von Verzweiflung. Der Mord an der Witwe, der sicherlich ungesühnt bleiben wird, ist die eine Schattenseite der Geschichte. Die andere der Tod einer Frau, Madame Hortense, deren Scheitern in ihrem Leben in der Vergangenheit zu finden ist. Und weder Zorba, noch Basil können daran etwas ändern. Sie sind nur Zeugen, keine Handelnden in diesem „Spiel“, dessen Regeln von anderen bestimmt wird.

So eng ist hier alles beisammen. Und Anthony Quinn spielt diesen Zorba, als wenn er sich selbst spielen würde – mit einer Ausnahme. Er konnte nicht tanzen und so zeigte man beim Tanzen nur seinen Oberkörper, während die Füße von einem Double stammen. Cacoyannis konnte mit „Zorba the Greek“ die Atmosphäre des berühmten Romans Kazantzakis, auf dem der Film basiert, glänzend wiedergeben. Gelungen ist das mit einem Kazantzakis-Roman eigentlich nur einem weiteren Regisseur: Martin Scorsese mit „Die letzte Versuchung Christi.“

Und last but not least: Es sind die wunderschöne Irene Papas und die Musik Mikis Theodorakis, die aus diesem Film nicht wegzudenken sind, die dem Film ein Flair geben, das unübertroffen ist.

Alexis Sorbas
(Zorba the Greek)
USA; Großbritannien, Griechenland 1964, 142 Minuten
Regie: Michael Cacoyannis

Drehbuch: Michael Cacoyannis, nach dem Roman von Nikos Kazantzakis
Musik: Mikis Theodorakis
Director of Photography: Walter Lassally
Montage: Michael Cacoyannis
Produktionsdesign: Vassilis Photopoulos

Darsteller: Anthony Quinn (Alexis Zorba), Alan Bates (Basil), Irene Papas (Witwe), Lila Kedrova (Madame Hortense), Sotoris Moustakas (Mimithos), Anna Kyriakou (Soul), Eleni Anousaki (Lola), George Foundas (Mavrandoni)

Quelle: Filmarchiv