Donnerstag, 14. März 2013

Rausch der Tiefe – John C. Lilly Teil 1

Der Neurologe John C. Lilly experimentierte jahrelang mit Delfinen, bevor er versuchte, mit LSD-Trips, Esoterik und kosmischen Orgasmen den Tieren noch näher zu kommen. Mit einem Revolver bewachte ein Ranger 1949 an der Küste von Maine einen gestrandeten Wal. Die Waffe und der Gestank hielt Schaulustige ab. Nur ein paar Neurologen kamen angereist, um das Hirn des Wals zu sezieren, unter ihnen auch ein 34-Jähriger namens John Cunningham Lilly. Der hatte revolutionäre Apparaturen erfunden um Gehirnströme auf Monitoren sichtbar zu machen; er hatte Katzen und Affen Elektroden implantiert und damit in ihren Hirnregionen Glücksgefühle oder negative Reize ausgelöst. Nun wollte er seine Technik bei Meeressäugern erproben. Durch das Betätigen eines Schalters konnten Affen alle drei Minuten einen Orgasmus auslösen, bis sie nach 16 Stunden erschöpft in Tiefschlaf fielen, um am nächsten Morgen damit von vorn anzufangen.
Bei negativen Reizen wurden sie bald depressiv. Nicht so Delfine. Nach der Arbeit am Hirn des gestrandeten Wals kartografierte Lilly die Hirne der Delfine und entdeckte unter anderem,dass Delfinhirne groß und komplex genug sind, um einfache Impulse anders zu verarbeiten, als die Affen es taten. Diesem Geheimnis wollte Lilly auf die Spur kommen. Gemäß seinem Wahlspruch “Füge deinem Nächsten nicht zu, was du dir nicht selber zufügst” bohrte er sich selbst kleine Kanülen in den Schädel. Da das zwar grässliche Donnergeräusche erzeugte, aber ansonsten schmerzfrei war, machte er sich 1954 daran, den Delfinen solche Kanülen in den Kopf zu bohren, um dann millimeterweise Elektroden ins Gehirn einzuführen. So gelangte er durch viele dumpfe Regionen zu glückseligen Inseln in den Gehirnfurchen. Die Delfine lernten auf Anhieb, mit der Rückenflosse einen Schalter zu betätigen, der einen elektronischen Glücksreiz auslöste – und bei Manipulationen in negativen Zentren reagierten sie nicht mit Depression oder Panik, sondern konnten die Impulse offenbar psychisch verarbeiten. Aber wie? Um diese Frage zu beantworten und ungestört forschen zu können, kaufte Lilly 1959 auf den Virgin Islands einen Küstenstreifen, auf dem er sein Labor einrichtete und ein gewaltiges Becken freisprengte. Dafür opferte er sein ganzes Vermögen. Im Flugzeug transportierte er die Delfine Lizzie und Baby auf die Insel. Mit Hydrofonen nahm er ihre Hilferufe auf, die immer dann einsetzten, wenn er die beiden trennte. Lilly untersuchte auch ihre Echolotung, hielt aber die Resultate lange geheim – im Zweiten Weltkrieg hatte er für die US-Armee Kontrollsysteme für die Atmung von Kampffliegern entwickelt, die dann patentiert wurden. Er wusste, dass das Militär nicht davor zurückschrecken würde, Delfine zu dressieren, um Minen zu orten. Das widersprach seiner Ethik. Denn beim Spielen mit Lizzie und Baby meinte er zu erkennen, dass ihre Intelligenz so hoch war wie die des Menschen, wenn nicht gar höher. Als Lizzie und Baby an einer Infektion starben, machte sich Lilly schwere Vorwürfe. Aber er glaubte erkannt zu haben, dass sie schon mit einer Infektion aus dem Delfinarium gekommen waren. Deshalb wollte er zwei Tiere aus freier Wildbahn besitzen, die ihm der damals bekannte Delfinfänger Milton Santini beschaffte. Elvar und Peter wurden zu gleichberechtigten Partnern. Lilly war sich nicht mehr sicher, ob er die Delfine untersuchte oder sie ihn. Immerhin lachten sie ihn ab und zu aus. Und hatte er auf den Tonbändern von Lizzie nicht gehört, dass ihre letzten Worte englisch waren? Eindeutig: Sie hatte, so fand er bei langsamerem Abspielen der Aufnahmebänder heraus, über Lillys Versuche gesagt: “This is a trick.” Aus der Quantenphysik wusste Lilly, dass der Beobachter mit seinen Erwartungen die Anordnung und den Verlauf von Experimenten beeinflusste. Deshalb wollte er den Delfin Peter von jemandem bewachen lassen, der keine Biologe war. So wie Louis B. Leakey für die Erforschung der Schimpansen Jane Goodall wählte, so bevorzugte auch Lilly eine Frau: Margaret Howe. Sie lag wochenlang mit dem Delfin im Pool und wurde dessen Mutter, Freundin und – wie Lilly meint – auch “Geliebte”. Bis ihre Haut so spröde war, dass sie wieder aus dem Wasser steigen musste, schließlich war sie, biologisch gesprochen, “ein Landsäuger”. Delfin Peter war so intelligent, dass er die Experimente nach Lust und Laune abwandelte. Fünf Mal hatte er auf Befehl von fünf verschiedenfarbigen Bällen den orangenen geholt. Doch dann gehorchte er nicht mehr. Und drehte den Spieß um. Peter begann die Forscher an der Nase herumzuführen, natürlich aus Liebe zum Menschen. Wenn sich Lilly in den Pool warf und so tat, als würde er ertrinken, holten ihn die Delfine vom Grund und trugen ihn an Land. Sie versuchten sogar, mit ihm auf Englisch zu reden. “WA-TER” konnten die Delfine knacklauten. Oder wenn Lilly am Morgen mit seinem Hydrofon an den Pool kam “AL-RIGHT, LET’S GO”. Da er dachte, dass Delfine intelligenter als die Menschen sind, hielt er es für einfacher, ihnen Englisch beizubringen, als selbst “Delfinisch” zu lernen. Immerhin ahmten sie spontan gewisse Wörter nach – genauso wie ein kleines Kind am Anfang des Spracherwerbs. Doch so virtuos ihr Lautapparat in hohen, für das menschliche Ohr nicht hörbaren Frequenzen ist: Fürs Englisch ist er denkbar ungeeignet. Zu diesem Schluss kam Alexandra Morten, die viel später die 1280 Bänder mit Aufnahmen von Delfingesängen abhörte und sortierte. Sie hatte mit “Gummiohren”, die Lillys eigenen Ohren nachgebildet waren, in der Villa herumlaufen müssen, um seinen Spleens Genüge zu tun. Sie beschloss dann allerdings, Orcas in Freiheit zu studieren, da die Erforschung ihrer “Dialekte” mehr Gewinn versprach als die Englischstunden für Delfine im Pool. Auch Lilly stellte seine Forschungen ein, aber aus anderen Gründen.

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