Rund 30 Leute arbeiteten während Jahren an Lillys Projekt. Bis er eines
Tages bei einem LSD-Trip einsah, dass er die Tiere nicht länger in
seinem, wie er es ausdrückte, “KZ” einsperren konnte. So beschloss er
1967, seine Forschungen abzubrechen. “Noch bevor ich Gelegenheit hatte,
diesen Entschluss meinen Kollegen mitzuteilen”, trat ein Delfin namens
Sissy in Hungerstreik und starb. Fünf weitere brachten sich aus
tierischer Liebe ebenfalls um, und nur drei konnten in Freiheit
entlassen werden. Doch weit wichtiger war nun, dass Lilly selbst sich
von seinen Zwängen befreien konnte. Seine Forschungen schlugen um in
einen seltsamen Egotrip: Free Lilly.
Lilly hatte schon eine Psychoanalyse hinter sich. Nun folgte die
Selbstanalyse im so genannten Samadhi-Tank, den er 1954 erfunden und
ständig weiter entwickelt hatte. Darin liegt der Mensch bei 34,5 Grad
Celsius in einer Salzlösung im Dunkeln, er schwebt und atmet durch eine
Sauerstoffmaske. So befreit sich das Gehirn langsam von äußeren Reizen
und rauscht in Innenwelten ab. In andere Räume. Und andere Schöpfungen.
Das beschreibt er 1972 in seinem Buch “Das Zentrum des Zyklons”: Sonnen
explodieren, purpurne Schlingpflanzen steigen aus der Ursuppe, durch
ihre Schlingen schwingen sich nicht Affen, sondern fremdartige Fische,
Einzeller tanzen und teilen sich immer weiter. Lilly wird zu seiner
“eigenen Spermazelle”, die sich ein Ei sucht, er erlebt, wie er sich
selbst gebiert. Kosmische Orgasmen durchströmen seinen Leib. Um den
Rausch zu steigern, setzt Lilly immer mehr LSD ein. Damit schien er die
Grenzen der Vernunft überschritten zu haben. Denn nun erschienen ihm
“zwei Wächter” aus dem All, die ihn als Schutzengel und Abgeordnete aus
der “Zentrale des kosmischen Zufalls” durchs Leben begleiten. Der
kosmische Zufall führt fortan zu verschiedenen schicksalhaften
Begegnungen mit Delfinen. Einmal meditiert Lilly an einem Strand,
nachdem er mit 60 nackten Leuten in einem kleinen Raum Erfahrungen
gesammelt hat, wie sie sich ein indischer Guru nur erträumen kann. Jetzt
meditiert er also am Meer und siehe da: ein Zeichen! Zwei Delfine
springen aus dem Wasser. Wird das die Rettung der Menschheit sein? Lilly
dämmerte, dass ferne Galaxien, auf denen “die Halbleiterstoffe” die
Regierung übernommen und alles Leben ausgelöscht haben, mit ihren
Schwingungen den Menschen dazu treiben, die Delfine und Wale mit ihrer
30 Millionen alten Weisheit auszurotten, um uns dann als Sklaven der
Halbleitercomputer auch bald auszuschalten. Einmal rief Lilly im Rausch
sogar beim Weißen Haus an, um die US-Regierung zu warnen. Kurz danach
wurde er in eine Klinik eingeliefert. Lilly war nicht der Einzige, der
unter Drogen auf Gedanken kam, die unser übliches Wertesystem zum Wanken
bringen. Schon Antonin Artaud, der französische Experimentaldichter,
hatte 1932 im Opiumrausch Delfine springen sehen. Sie verkörperten, so
meinte er, “die platonischen Ideen”. Sie steigen aus dem inneren Urmeer
auf und verkünden Wahrheiten eines anderen Lebens. Jenes echten Lebens,
von dem unser Alltag nur ein Abklatsch ist. Dieses Leben kann man, so
Artaud, nur auf der Bühne zeigen. Indem man das Theater aus den
Schauspielhäusern in Fabrikhallen verlegt, die Zuschauer an die Stühle
fesselt, Lichtblitze und gewaltiges Dröhnen auf sie loslässt, bis ihre
Reizschwelle gebrochen ist und sie für die anderen Wahrheiten
empfänglich sind. Für die Delfine.
Auch Artaud hat, wie Lilly, an die tiefere Weisheit der Drogen
geglaubt. Beide verachteten den Alkohol. Alkohol, sagte Artaud, ist eine
Droge, um die Menschen zu verdummen und gefügig zu machen. Lilly ließ
sich zwischen 1964 und 1966 von Sandoz kiloweise LSD kommen. Im Rausch
trat er in andere Räume, andere Wirklichkeitsebenen und hoffte, direkt
mit den Delfinen in Kontakt zu kommen. Es war die Zeit der Hippies.
Psychedelische Bands stürmten die Charts. In Stanley Kubricks “Space
Odyssey 2001″ werden die Astronauten vom Bordcomputer HAL bedroht, der
die Menschen auslöschen will wie Lillys extragalaktische
Halbleiterzivilisationen. Kubricks Film endet mit einer legendären
17-minütigen Rauschvision, bevor der Held schließlich in einem anderen
Raum steht, irgendwo in der vierten oder fünften Dimension, und Gott
trifft. Genau in diese Räume war auch Lilly eingedrungen und den “zwei
Wächtern” begegnet. Nun also wurde seine Pionierarbeit vom Zeitgeist
überholt und zur Massenkultur der Hippies. Er selbst begann alle
erdenklichen fernöstlichen Weisheiten in einem wahren Konsumrausch zu
erkunden, darunter Trance und Telepathie. Davon berichtet er in einer
psychedelischen Autobiografie, die mit dem Urknall und der langsamen
Entstehung seiner eigenen DNA beginnt und mit allerlei Exzentrizitäten
endet, die Lilly mit viel Selbstironie aufzeichnet. Er wirkt in seinen
Büchern wie Buster Keaton auf einem Eso-Trip. Lilly lief etwa mit einem
Stein auf dem Kopf auf Berge, um dann mit dem Stein sein altes Ich den
Hang hinunterzuwerfen. Ab und zu fiel er vom Fahrrad und landete im
Krankenhaus – dort machte er im Koma Todeserfahrungen. Und wieder
tauchte er in die Tiefen der Delfinwelten. Er verlor sich, wie Freud
gesagt hätte, in der ozeanischen Lust. Der Ozean war schon immer ein
Bild für freie Sexualität. Mann und Frau strömen als Wellen ineinander.
Der Wille wird zur Welle und die Welt zum Wahn. Der Gott des Rausches,
Dionysos, hatte bereits bei den alten Griechen Piraten auf einem Schiff
mit seinen Flötenklängen behext und ins Wasser getrieben, wo sie sich in
Delfine verwandelten. Dieses alte dionysische Wissen, schrieb Lilly,
wurde vergessen und vom Christentum geradezu aktiv verdrängt, denn in
den Holzschnitten des Mittelalters kommt der Wal immer nur als Monster
vor, das Menschen verschlingt. Für Lilly aber gebären Wal und Delfin
einen neuen Menschen, der sich von den christlichen Vorstellungen von
Schuld und Sühne endlich befreien kann.
Stundenlang lag Lilly in seinem Tank, dieser Ersatzgebärmutter, und
träumte, sich selbst neu gebären zu können. Und um daran zu glauben,
nahm er nach LSD auch noch jahrelang Ketamin. Jetzt wird er selbst zu
Vater, Mutter und Kind, er wird zur heiligen Dreifaltigkeit in einer
Person. Zu Rama Krishna, zu einem neuen Gott, zum LSDolphin. Statt mit
“Lucy in the sky with diamonds” der Beatles sollte man künftig besser
summen: “Lilly in the sea with dolphins”.
Bis zu seinem Tod im Jahr 2001 beschwor er die Menschen, alles zum
Schutz der Delfine zu tun. Er lebte auf Hawaii und gründete die
Human/Dolphin-Foundation. Und vielleicht lernte er auch, in den für
menschliche Ohren nicht hörbaren Frequenzen der Delfine zu reden.
Jedenfalls war bei einem Interview mit einer Gesinnungsgenossin auf dem
Tonband nichts zu hören – sie hatten “in einer anderen Dimension”
miteinander kommuniziert, in der Delfindimension. Bis dereinst Mittel
erfunden sind, um das Rauschen jenes Tonbands in unsere Sprache
zurückzuübersetzen oder mit Delfinen zu reden, werden wir nicht wissen,
ob sich Lilly beim Schweben in seiner Salzlösung oder im Drogenrausch
wirklich befreit hat.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen