Dienstag, 7. Juli 2009

Michael Jackson - Für immer Kind 1

Ich war nie ein Michael-Jackson-Fan. Ich hatte aber auch nie etwas gegen ihn. Tatsächlich war die erste Musikkonserve, die ich je gekauft habe, eine Kassettenaufnahme seiner Single Black or White. Das war kurz nach meinem 11. Geburtstag. Damals begann und endete meine Laufbahn als Käufer von Michael Jacksons Musik.

Hier folgen also die Beobachtungen eines 28-jährigen Amerikaners, der objektiv auf Jacksons Laufbahn zurückblicken kann. Ich werde ihn nicht als Artilleristen des musikalischen Mainstreams verdammen, der seine momentane Allgegenwart in den Medien nicht verdient hat – so sehen es einige meiner zynischen Hipster-Freunde. Aber ich will ihn auch nicht heiligsprechen.
Für mich ist Jacksons Tod etwas Großes, sogar das Ende einer Epoche. Trotzdem wünschte ich, wir würden ihn nüchtern bewerten. Dieselben Medien, die ihn jetzt anhimmeln, behandelten ihn noch vor einer Woche als schlechten Scherz. Ich stelle mir vor, wie er sich in diesem Moment im Jenseits die Frage stellt: »Wo wart ihr die letzten fünfzehn Jahre bloß alle?«
Meine Indifferenz gegenüber Jackson verdanke ich meiner großen Schwester CeCe, deren Geschmack mich geprägt hat. Am vergangenen Wochenende sagte CeCe zu mir: »In der fünften Klasse war ich das einzige Mädchen, das ihn nicht mochte.« Sie meinte, das sei eines der ersten Anzeichen gewesen, dass sie eine Außenseiterin bleiben würde.

Es stimmt: Für einen amerikanischen Teenager der achtziger Jahre war es geradezu bizarr, dem King of Pop keine Reverenz zu erweisen, obwohl MJs eigene Bizarrerie letztlich dafür sorgte, dass die treuen Mädchenschafe sich von ihm abwandten, um Bon Jovi oder später Nirvana zu folgen. Nirvanas Nevermind- Album kickte 1991 Jacksons Dangerous von der Spitze der Charts und versetzte den Achtzigern den Todesstoß – wie die Rockjournalisten gern sagen.
Unfähig, seine Popularität in den Neunzigern und Zweitausendern aufrechtzuerhalten – denn ihm fehlte das Talent für billige Sexualität, die seinem weiblichen Pendant Madonna das Überleben sicherte –, wird Jackson immer für die Achtziger stehen. Mein erster Gedanke, als ich von seinem Tod erfuhr: Jetzt sind die Achtziger wirklich tot.

Ich gab gerade einen Englisch-Abendkurs, als die Yahoo-Homepage die Nachricht brachte, AP habe Jacksons Tod bestätigt. Zu Beginn des Kurses, als ich auf der relativ unzuverlässigen Website TMZ.com von dem Gerücht erfuhr, hatte ich an die Tafel geschrieben: »Michael Jackson R.I.P.?« Ich hatte es immer gehasst, wenn Lehrer und Dozenten so taten, als gäbe es keine Welt außerhalb des Unterrichtsraums oder als stünden sie über der Popkultur. Während des Kurses behielt ich den Computer im Auge, und ich gestehe zu meiner Schande, wie aufgeregt ich war, derjenige zu sein, der es bekannt gab: »Er ist tot.«
Von zwanzig Studenten hörte ich zwei aufstöhnen. Die übrigen, ihrer fehlenden Reaktion und dem irritierten Grinsen nach zu urteilen, empfanden Michael Jacksons Tod so wie ich: Was geht uns das an? Vor Kurzem noch hatten die Amerikaner Umfragen zufolge Michael Jackson mehr gehasst als Saddam Hussein. Seine angebliche Pädophilie und die Balkon-Mätzchen mit seinem Baby waren nicht dazu geeignet, eine allgemeine Tränenflut zu entfesseln.

Nachdem ich aber das Fragezeichen von der Tafel gewischt hatte, packte mich die Traurigkeit doch. Es wurde mir nämlich klar, dass wieder ein Stück meiner Kindheit verschwunden war. Für viele meiner Altersgruppe ist bereits der Gedanke an die Achtziger tröstlich, weil wir damals Kinder waren. Wir wurden von den Schlümpfen geweckt, gingen mit Johnny Carsons Talkshow zu Bett, und irgendwann im Lauf des Tages hatte unweigerlich Michael Jackson einen Auftritt. Ein Beleg dafür, wie sehr meine Generation dieses Jahrzehnt verehrt: Zwei der teuersten Kinofilme dieses Sommers basieren auf weiter nichts als den Spielzeugen, mit denen wir uns damals beschäftigten, Transformers und G.I. Joe.
Und so sagte ich zu meinen Studenten: »Jetzt sind die achtziger Jahre offiziell tot.« Dann verwies ich auf eine Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins Time, deren Autor Kurt Anderson die These vertrat, die Achtziger hätten erst 2008 geendet, mit der Wirtschaftskrise. Anderson schrieb, die typische Achtziger-Jahre-Geisteshaltung der Habgier und Exzesse sei in den Neunzigern und nach der Jahrtausendwende immer präsent gewesen und habe zu unseren aktuellen Problemen geführt. Falls das stimmt, bedeutet Michael Jacksons Tod mit 50 den letzten Erdbrocken, der die Achtziger ein für alle Mal unter sich begräbt. Dieses Bild fand ich am folgenden Tag bestätigt, als ich einen Filmausschnitt sah, in dem Reagan zu Michael sagt: »Ihr Erfolg ist der wahr gewordene Amerikanische Traum.« Doch MJs Erfolg war nicht der wahr gewordene Amerikanische Traum. Es war der wild gewordene Amerikanische Traum. Der mutierte Traum.

Apropos Exzesse der Achtziger – mir fällt kein anderer Fall ein, wo sich der Amerikanische Traum so spektakulär und grotesk entlud. Diesem Amerikanischen Traum setzte nur die Fantasie des Träumers Grenzen, und o Mann, MJ hatte eine ausgeprägte Fantasie.

Mögen Sie Vergnügungsparks?

Michael Jackson wohnte in einem.

Mögen Sie Affen?

Michael Jacksons bester Freund war einer.

Würden Sie sich gern die Knochen des Elefantenmenschen beschaffen, als Spielzeug, zu Ihrem Amüsement?

Tja, Jacko, da können wir dir nicht folgen.

Jacksons Leben, MTVs Antwort auf den Großen Gatsby, wirkte wie ein warnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man sich alle Wünsche erfüllen kann. Seine unbegrenzten Mittel erlaubten ihm, Kinder (und ihre geldgierigen Eltern) nach Neverland zu locken, was seinen Untergang besiegelte. Und wahrscheinlich schürte der beispiellose weltweite Ruhm in ihm die Wahnvorstellung, er könne der einzige Mensch in der Geschichte sein, der nie erwachsen werden muss. All das bedeutet, dass Jacksons Leben eine literarische Qualität besaß, auf die ein Schriftsteller einfach hinweisen muss. In ihm haben wir den archetypischen Helden: eine ganz besondere Seele einfacher Herkunft, dazu bestimmt, König zu werden. Und wir haben einen Schurken – seinen Vater, Joe Jackson.
Man muss kein Schriftsteller sein, um die Symbolik von MJs äußerlichen Verwandlungen zu entschlüsseln. Wenn er sich im Spiegel sah, erkannte er unweigerlich Züge des Schurken. Es war Joes besessene Jagd nach dem Amerikanischen Traum, die Michael zwang, mit acht Jahren auf Tournee zu gehen. Zuchtmeister Joe missbrauchte seine Kinder, denen er sein Einkommen verdankte, er malträtierte sie mit Gürtelhieben und Worten. Für den kleinen Michael hatte er eine besondere Beleidigung parat: »big nose«, Großnase.

Joey Goebel

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